Ambulante Zulassungssteuerung: Das Basler Urteil mit Signalwirkung hinsichtlich kantonaler Umsetzung

Im Sommer 2020 hat das Bundesparlament die Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend Zulassung von Leistungserbringern verabschiedet. Die Kantone haben bis am 30. Juni 2023 Zeit, ihre kantonale Regelung betreffend Umsetzung der Zulassungsbeschränkung anzupassen. Anfang Jahr hat das Kantonsgericht Baselland ein Urteil mit Signalwirkung gefällt: Die Basellandschaftliche Regierung muss nochmals über die Bücher. Damit wurde mit Blick auf die Umsetzung in anderen Kantonen ein Präzedenzfall geschaffen, den es dringend zu beachten gilt.

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hat mit Urteil vom 18. Januar 2023 die vom Regierungsrat des Kantons Baselland gestützt auf Artikel 55a KVG erlassene Zulassungsverordnung aufgehoben. Mit dieser Zulassungsverordnung hätte ohne verlässliche statistische Daten ein Zulassungsstopp für Ärzt*Innen in acht Fachgebieten eingeführt werden sollen.

Ausgangslage

Mit der Revision von Artikel 55a KVG sollen die Kantone die Möglichkeit erhalten, Höchstzahlen für die Zulassung von Fachärzten festzulegen – für alle oder nur für bestimmte Fachgebiete. Der Bundesrat führt in der Botschaft aus, dass mit dem neuen Artikel 55a E-KVG den Kantonen eine Kompetenz übertragen werde, die bis anhin in den Händen des Bundesrates lag. Dieser könne zwar immer noch methodische Grundsätze festlegen, aber die Höchstzahlen der Ärzt*Innen mit einer Zulassung zur Tätigkeit zulasten der OKP würden nicht mehr von ihm bestimmt.

Regierungsrat hat auf Grund KVG 55a kein direktes Verordnungsrecht

Die Regierung des Kantons Baselland hat darauf gestützt eine Verordnung erlassen. Diese hat das Basler Kantonsgericht jüngst kassiert. Das Gericht begründete das Urteil mit der fehlenden Zuständigkeit des Regierungsrats, Höchstzahlen für die Zulassung von Fachärzt*Innen festzulegen. Artikel 55a KVG stelle keine unmittelbar anwendbare Regelung dar, die dem Regierungsrat ein unselbständiges Verordnungsrecht einräume. Damit sei die geltende bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zulassungssteuerung durch die Kantone nach Artikel 55a KVG in der Fassung vom 1. Januar 2001 und der altrechtlichen VEZL überholt.

Zulassungssteuerung erfordert selbständige kantonale Gesetzgebung

Die Zulassungssteuerung nach Artikel 55a KVG sei somit gemäss Kantonsgericht mehr als eine blosse Umsetzungsgesetzgebung, sondern erfordere neu eine selbständige kantonale (Einführungs-)Gesetzgebung. Dafür spreche auch die Tatsache, dass Zulassungsentscheide mit der Revision von Artikel 55a KVG nicht mehr der Beschwerdemöglichkeit an das Bundesverwaltungsgericht unterlägen, sondern der kantonalen Gerichtsbarkeit.

Eingriff in die Freiheitsrechte der Ärzte erfordert zwingend ein Gesetz

Die Kantonsrichter waren sich weiter einig, dass der faktische Zulassungsstopp von Fachärzt*Innen ein wichtiger und grundlegender Entscheid sei. Die Einschränkung der Freiheitsrechte der betroffenen Ärzt*Innen sowie der Anstellungsfreiheit von Kliniken sei ein schwerer Eingriff in die Berufsausübung der Ärzteschaft, der zwingend ein Gesetz im formellen Sinn erfordere. Das Kantonsgericht kam zum Ergebnis, dass im Kanton Basel-Landschaft somit der Landrat als gesetzgebendes Parlament für die Zulassungssteuerung nach Artikel 55a KVG zuständig sei.

Um dem vom Gericht geschützten Legalitätsprinzip gerecht zu werden, sind dies unter anderem folgende Punkte und Fragestellungen, die zwingend durch die kantonalen Parlamente in einem Gesetz entschieden werden müssen:

Wann soll in einem medizinischen Fachgebiet eine Obergrenze eingeführt werden, wie ist sie statistisch zu berechnen und wer kontrolliert sie?

  • Es soll nach Fachgebieten gesteuert werden, wobei Fachgebiete Facharzttiteln entsprechen. Die Fachärzte haben sich aber bereits weiter in Subspezialitäten spezialisiert.
  • Die kantonalen Parlamente müssen zwingend entscheiden, wie mit diesen Subspezialitäten umgegangen wird, ansonsten droht in Spezialgebieten eine Verknappung der ärztlichen Ressource oder die Entspezialisierung der Spezialisten.
  • Die ambulante Tätigkeit eines Arztes oder einer Ärztin, vornehmlich in einem Spital, beinhaltet neben dem Behandeln von Patient*Innen auch die Weiterbildung der Assistent*Innen oder des Pflegepersonals, die eigene Fortbildung und die Fortbildung bspw. im Rahmen der strukturierten Fortbildung, die Forschung, die Wahrnehmung von betriebswirtschaftlichen Aufgaben im Spital etc.
  • Das kantonale Parlament wird festzuhalten haben, wie «Vollzeitäquivalente» berechnet und wie sie kontrolliert werden.

Weitere Fragen, welche der kantonale Gesetzgeber regeln muss:

  • Können bestehende Bewilligungen bspw. bei einer Pensionierung auf Nachfolger*Innen übertragen werden und wenn ja, unter welchen Bedingungen (bspw. hinsichtlich Qualität des Nachfolgers oder der Nachfolgerin, Preisregulierungen für die Praxisnachfolge etc.)?
  • Welche Regeln sollen auf die geographische Zulassungsbeschränkung bezogen erfolgen (bspw. bezogen auf innerkantonale Versorgungsregionen oder interkantonale Patientenströme)?
  • Wie werden Zulassungsbewilligungen im Markt neuen Anwärterinnen und Anwärtern zugesprochen werden, falls in einem gesteuerten Fachgebiet die Anzahl der tätigen Ärztinnen und Ärzte unter die Höchstgrenze fällt?

Versorgungssicherheit gewährleisten

Die Kantonsparlamente werden ausserdem zu entscheiden haben, wie die Kantone die Versorgungssicherheit in der ambulanten Versorgung künftig gewährleisten können. Sie werden deshalb gesetzlich konkretisieren müssen:

  • wann eine Unterversorgung besteht,
  • welche Massnahmen die zuständige Behörde gegen eine Unterversorgung ergreifen kann/muss,
  • wie die Qualität der Anbieter geprüft und gesichert wird (mit Massnahmenkatalog bei Minderqualität wie Entzug der Zulassung etc.),
  • wie geprüft wird, ob moderne Behandlungsmethoden angewandt werden (Digitalisierung, moderne Behandlungsmethoden, Entzug von Bewilligungen bei Verweigerung der Neuerungen etc.),
  • wie bei knappen Ressourcen die Versorgungsgerechtigkeit für Patientinnen und Patienten gewährleistet wird (bspw. durch Priorisierung durch geeignete Triageeinrichtungen durch die Fachgesellschaften),
  • kantonale Entschädigung derartiger Arbeiten.

Die Zentrumspitäler mit Aussenstandorten, Belegärzten und ihren ambulanten Einrichtungen sind von der Umsetzung der Zulassungsteuerung stark mitbetroffen.

Wir werden die Entwicklungen in den kantonalen Parlamenten eng verfolgen. Unsere Patient*Innen haben eine qualitativ optimale Versorgung verdient. Diese ist nur gewährleistet, wenn interessierte, engagierte und kompetente Ärzt*Innen deren Versorgung sicherstellen und zwar ohne bürokratischem Overkill, wie sie die Umsetzung einzelner Kantone mit sich bringt.